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Peni Candra Rini:
„Wir spielen unsere menschliche Kultur“
Arno Raffeiner
Morgens läuft Peni Candra Rini am liebsten gleich aus ihrem Haus in Java, gern ohne Sandalen, über den Pfad mit dieser fast schwarzen Erde, an Gebüsch und hüfthohen Grashalmen entlang, hinein in das Zusammenspiel von Insekten, Vögeln und Wind. Und dann stimmt sie mit ein in das große, alltägliche Zirpen, Scharren, Rauschen und Blöken.

Die Natur war ihre allererste Universität. Und sie wird ihre wichtigste bleiben, auch wenn Rini inzwischen ein PhD in Komposition abgeschlossen hat, mit mehreren Stipendien und für zahlreiche Lehraufträge in den USA war und derzeit am Indonesian Institute of the Arts in Surakarta unterrichtet, einer Stadt im Landesinneren von Java, der mit fast 160 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Insel der Erde.  

Rini ist Pädagogin, Musikerin, Poetin und vor allem Sängerin, und zwar eine, deren Stimme sich in ihrem gesamten Auftreten und Wesen ausdrückt. „Ich bin als Sängerin zur Welt gekommen“, sagt sie. „Wenn ich singe, wenn ich meine Musik spiele, bewege ich meinen Körper und tanze als Teil der Darbietung. Es ist wie eine Einheit im theatralisch-musikalischen Gesangsstil, und genau diese Einheit nutze ich für meine Kunst und meine Auftritte  überall.“  

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 Geboren 1983 in einem Dorf in der Nähe der Stadt Tulungagung, im Osten Javas, lebt Rini heute vor allem in Surakarta. Sofern sie nicht unterwegs ist. Beim Gespräch für die Monheim Papers, direkt nach einem Aufenthalt in Australien, wo sie in Adelaide performte, und einem eintägigen Zwischenstopp in Indonesien, sitzt sie in Richmond, Virginia in jenem Raum der University of Richmond, in dem sie in den folgenden Tagen mit dem Kronos Quartet proben wird, für einen gemeinsamen Auftritt sowie für die Aufnahmen eines Albums mit ihren Kompositionen, eingespielt von einem der international renommiertesten Ensembles zeitgenössischer Musik. „Zeit spielt keine Rolle“, sagt sie fröhlich. „Ich bin zwar in den USA, aber innerlich lebe ich nach indonesischer Zeit.“ Das ist auch nötig, da sie parallel ihren Studierenden noch Fernunterricht in den Grundlagen und Feinheiten des Karawitan-Gamelan geben muss. 

Das Konzert und die Aufnahmen in Richmond sind nicht die erste Zusammenarbeit von Rini mit dem Kronos Quartet. David Harrington, Violinist, Gründer und künstlerischer Leiter des Quartetts, rühmt sie als „eine dieser seltenen Menschen, in deren Stimme so viel Sonnenschein steckt.“ Harrington schätzt ihre Werke ohne Gesang aber genauso. 2020 wurde sie eingeladen, ein Werk zur Kronos-Quartet-Reihe „50 for the Future“ beizutragen. So entstand „Maduswara“, ein präzise konstruiertes, mit seiner Vielfalt an Tonfarben und Harmonik überraschendes Stück, das mit einem Klang wie von vorbeifliegenden Gänsen einsetzt. „Für das Stück habe ich Klanglandschaften live aufgenommen”, erklärt Rini. „Frösche, Donnergrollen, das Leben im Regenwald. Und das habe ich mit meiner Komposition für das Kronos Quartet kombiniert. Denn Natur und Kultur sind für mich essenziell, um neue Musik entstehen zu lassen.“ 

Wenig später arbeitete sie an dem vom Kronos Quartet und der New Yorker Carnegie Hall in Auftrag gegebenen Stück „Segara Gunung“, was so viel wie Bergmeer bedeutet. Die Suite für Streichquartett ist eine Auseinandersetzung mit den Gewalten, die Indonesien ständig bedrohen: die vulkanischen und seismischen Aktivitäten aus dem Inneren der Erde und der Anstieg des Meeresspiegels.  

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Konzert für die Brandung

Rini ist in einer Familie aufgewachsen, die materiell vieles entbehren musste, aber reich an Kreativität und Inspiration war. Über mehrere Generationen gab es Musikerinnen, ihr Vater ist Puppenspieler, der den Lebensunterhalt der Familie zusätzlich durch Fischerei sichern musste. Rini erzählt davon, wie sie als Kleinkind, noch keine fünf Jahre alt, mehrmals den sechsstündigen Fußmarsch von ihrem Dorf an die Südküste Javas mitmachte, um dort mehrere Tage in Folge zu fischen. Unterwegs und am Strand lehrte der Vater sie zu singen.  

„Dort am Ufer gab es keinen Strom, und Instrumente hatten wir keine“, sagt sie. „Wir hatten nur unsere Stimmen, nur die Natur, mit der wir uns verbinden konnten. Als mein Vater mir das Singen beibrachte, sagte er: ‚Jetzt bitte – ein Auftritt vor den Wellen! Sing so laut du kannst, hinaus in die Brandung! Das wird deine Stimme stärken.‘ Damals war meine Stimme noch sehr kindlich, richtiges Singen fiel mir schwer – es klang eher wie sehr, sehr lautes Schreien – whaaaa! Aber mein Vater wollte, dass ich so sang: ‘Ja, sing schön laut! Sing schreiend! Und später, wenn du reifer bist, wirst du lernen, die Stimme sanfter zu führen. Aber die Lautstärke soll bleiben.‘“ 

Dieser Früherziehung folgte einige Jahre später eine Ausbildung zur Solo-Vokalistin im javanischen Gamelan, genannt Pesindhèn. Rini lernte außerdem, die Rebab zu spielen, ein zweisaitiges Streichinstrument, das fest zur Instrumentierung von Gamelan-Ensembles gehört und traditionell dem – in der Regel männlichen – Leiter des Orchesters vorbehalten ist.  

Das Gamelan kommt im Dialog mit Rini selbstverständlich immer wieder zur Sprache – als Sammelbegriff für Musik aus Java, in dem etwas Allumfassendes mitschwingt und zugleich immer auch eine Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Rini sagt in einem Atemzug, als wäre es dasselbe: „Bewahren, Erneuern“. Und offenbar sind die Begriffe in ihrem Verständnis tatsächlich synonym, da sie beobachtet – und sich leidenschaftlich darüber beklagt –, wie die Achtung und Weitergabe von Traditionen in der breiten Gesellschaft in Indonesien immer mehr zur Ausnahme wird: „Ich fühle mich jetzt einsam, als Javanerin in meinem eigenen Land. Es fühlt sich an, als hätte ich, als hätten wir unsere Kultur verloren.“ 

So kulturpessimistisch das auch klingt, Rini schaut nicht nur zurück. Sie selbst versteht sich als Vermittlerin zwischen Alt und Neu. Die Selbstcharakterisierung im CV auf ihrer Website lautet: „traditionell, neo-traditionell und experimentell“. Das ist ohne Widerspruch zu lesen, vielmehr als eine große Kontinuität, als ein Gesamtklang zu hören. Auch wenn Rini in der Außenwahrnehmung mit dem Gegensatz von traditionell vs. zeitgenössisch durchaus zu kämpfen hat, auch schon in der eigenen Familie, wenn es um die genauen Vorstellungen und Erwartungen des Vaters an seine singende Tochter ging. Sie spricht diese Dichotomie auch selbst immer wieder an, wenn sie als etablierte Musikerin und Komponistin ihre Praxis auf internationaler Ebene vermitteln muss.  

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Neue Musik aus Java

Für einen Auftritt beim Edinburgh International Festival im August 2024 brachte Rini diesen komplexen Hintergrund auf eine simple Formel: „Neue Musik aus Java“. So lautete der Titel des Konzerts, bei dem sie von Shahzad Ismaily und Andy McGraw als Mini-Backing-Band an Gitarre, Synthesizer, Zither, Streich- und Gamelan-Instrumenten begleitet wurde. Mit den beiden Multiinstrumentalisten hat sie in den letzten Jahren intensiv zusammengearbeitet und damit weitere Perspektiven auf ihr vielfältiges Schaffen eröffnet. 2024 erschienen kurz nacheinander die Alben „Wulansih“ und „Wani“, die gemeinsam mit Ismaily, McGraw und Mitgliedern der Band Deerhoof entstanden sind, und schon wenig später, im März 2025, veröffentlichte „Rini“ eine EP, die ebenfalls ein Ergebnis dieser kreativen sozialen Konstellation ist.  

Diese Aufnahmen wirken wie der Auftakt zu einem größeren Zyklus, der noch in vielfältige Richtungen weitergedacht und -entwickelt werden kann. Elemente javanischer Musik treffen auf Rock-Instrumentierung. Oder umgekehrt: Strukturen aus Avantgarde-Pop-Ansätzen verbinden sich mit dem Klang von Kendang und Gong. Auf dem Album „Wani“ führt das zu einem hyperaktiven Gleichzeitigkeitsexzess, etwa im abschließenden Stück „Beringin Kurung”: Noise-Rock meets Flöten-Jazz und Tremolo-Achterbahnfahrt. Und „Sentrut”, zu hören auf der Jejak/Steps EP, fasziniert mit arien-haften Sopran-Höhepunkten, gepaart mit Auto-tune-Gejodel und Gänsehaut-Nachklang in weiten Hallräumen.  

Schon auf ihrem ersten Album als Solokünstlerin, „Baramara“ von 2010, arbeitete Rini ähnlich: mit Methoden und Elementen, die auf Traditionelles verweisen und zugleich an Collage und Postmoderne denken lassen. Bei „Baramara“ ging es vor allem um Singer-Songwriter-Routinen und einmal mehr um diese überpräsente Stimme im Zentrum der Songs, die sich bei Belcanto ebenso bedient wie beim Repertoire der javanischen Pesindhèn. Und die vor allem aus diesen vorgegebenen Formen immer wieder lustvoll ausbricht.  

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Das Überhörte besingen

Insofern bewahrt und erneuert Rini: Sie besingt – und betanzt und verdichtet – das Vergessene, Verdrängte, gern Überhörte. Dafür erfährt sie in Indonesien mittlerweile auch hochoffizielle Anerkennung. Als erste Frau erhielt sie einen Kompositionsauftrag des Hofes von Fürst Mangkunegara X. in Zentraljava. In der Folge wurde ihr im Jahr 2024 auch ein Ehrentitel des Fürstentums verliehen, wie sie fast ein bisschen nebenbei, aber nicht ohne Stolz erwähnt.

Für ihren Aufenthalt in Monheim arbeitet Rini an einem multimedialen Werk, das ihre Kompositionen, Tanz und Puppenspiel einbezieht und sich mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzt, der auf den indonesischen Inseln bereits besonders starke Auswirkungen hat. Die Instrumentierung ihres Ensembles mit indonesischen und US-amerikanischen Musiker*innen ist gewohnt vielfältig, die Spielweisen sind traditionell und zeitgenössisch. Rini selbst setzt ihre Virtuosität und Sensibilität als Sängerin ein, um Brücken zu schlagen und – wie sie sagt – die menschliche Kultur zu feiern und um das Bewusstsein für die kollektive Verantwortung für den Planeten zu schärfen. „So wie ich es sehe, spielen wir unsere menschliche Kultur. Das ist unsere Musik, das ist unsere Kunst, und wir präsentieren sie, um den Menschen zu zeigen, dass wir noch auf dieser Erde sind und dass wir nach wie vor menschlich sind. Lasst uns alle auf unsere menschliche Kunst und Kultur achten und sie pflegen.“  

Noch wichtiger als das Wort Menschlichkeit scheint Rini nur die Idee von der Natur als einem allumfassenden Organismus zu sein. Und als die größte Inspiration für ihre Musik und für ihre Art zu leben. Zum Abschluss des Gesprächs erzählt sie noch von ihrem Drang, morgens einfach aus ihrem Haus zu laufen und im Gesamtklang aufzugehen. „Fast jeden Morgen und jeden Abend, wenn ich nicht an Musik arbeiten muss oder unterwegs bin, gehe ich einfach barfuß spazieren und versuche, mich mit der Natur zu verbinden. Ich höre, was mir das Ensemble der Natur gibt, und verbinde mich mit ihr, um zu singen und zu erschaffen. Das ist heilend für mich. Denn diese Klänge lassen mich spüren, dass ich ein Teil der Natur bin. Ich bin ein Teil dieser Kultur. Ich bin ein Teil meines vergangenen Lebens. Ich bin ein Teil des Jetzt. Und dann sehen wir die Zukunft.“