

„Man muss sich nicht auf die Musik einstellen, um sie zu spüren, sie durchdringt einen bereits“
Musikalischen Spirit zu finden und zu kanalisieren ist eine fortwährende Obsession im Leben von Shahzad Ismaily. Als Musiker ist er vor allem dafür bekannt, dass er seit den frühen 2000er Jahren in der eher kleinen experimentellen Musikszene in New York unterwegs ist. Er ist Musiker, Komponist, Lehrer und Produzent und betreibt sein eigenes Aufnahmestudio, Figure 8, in Prospect Heights, Brooklyn. Er spielt E-Bass und Gitarre, Synthesizer, Schlagzeug, nutzt Computersoftware und alle Arten von Perkussion, darunter auch Instrumente, die er von seinen Reisen in die Türkei, nach Chile, Indonesien und Marokko mitgebracht hat, und verzichtet darauf, sich nur auf eine bestimmte Disziplin oder ein bestimmtes Instrument zu beschränken. Während sich Musiker:innen oft danach sehnen, im Mittelpunkt zu stehen oder für ihre Virtuosität bejubelt zu werden, läuft Ismaily zur Höchstform auf, wenn er mit anderen zusammenarbeitet. Diese Qualität ist nicht unbemerkt geblieben und hat zu Kollaborationen mit Bob Dylan, Yoko Ono und Laurie Anderson, Bonnie Prince Billy, Ben Frost, Greg Fox und Colin Stetson geführt, neben hunderten (wenn nicht gar tausenden) anderen.
Eine Sound-Infusion
Um zu verstehen, was Shahzad Ismaily antreibt, müssen wir ganz am Anfang beginnen. Ismaily wuchs in einer Kleinstadt in Pennsylvania auf, als Kind einer Ärztin und eines Bauingenieurs, die aus Pakistan eingewandert waren. „Ich wollte schon immer Musik machen, seit ich klein war, aber meine Eltern spielten selbst kein Instrument und es lief nicht viel Musik zu Hause“, erinnert er sich. „Es hat mich also immer überrascht und neugierig gemacht, woher diese intensive Leidenschaft stammt. Als ich aufwuchs, war ich ziemlich gut in Mathematik und Naturwissenschaften, denn das sind die Stärken meiner Eltern. Ich glaube, ich habe diese intensive Leidenschaft entweder durch Zufall oder durch Genetik oder Osmose oder so etwas bekommen“, fährt er fort. „Die [mathematische] Seite der Musik hat immer viel Sinn gemacht – die Formen und Strukturen, die Kristalle, die Würfel. Was ich aber immer als esoterisch und herausfordernd empfand, war die Frage: Wie kommt es, dass man Klänge erzeugen kann, die eine Person außerhalb von einem selbst spürt oder sich in etwas hereinversetzt fühlt, oder dass sich der Raum dadurch anders anfühlt? Ich wollte lernen, wie man das macht.“
Ismaily hatte als Teenager eine besondere Beziehung zur Musik. Er entdeckte Musik wie das „Joshua Tree“-Album von U2 und „Fast Car“ von Tracy Chapman, die ein wunderbarer Ausdruck und eine Verbindung zu seiner tief empfundenen Traurigkeit waren. Er studierte am anderen Ende des Landes in Tempe, Arizona, und schloss mit einem Master in Biochemie ab, während ihm langsam klar wurde, dass Musik alles war, was er machen wollte.
Ein LSD-Trip am College führte zu tiefgreifenden Offenbarungen, die auch zwei Jahrzehnte später noch für Gesprächsstoff sorgen. „Ich nahm einmal LSD und saß auf einer mit Teppich bekleideten Treppe mit einer unverstärkten E-Gitarre; ein Instrument, das so verdammt leise ist“, erinnert sich Ismaily. „Ich spielte eine Note und hatte das Gefühl, dass ein ganzes Orchester von Instrumenten um mich herum diese Note spielte. In diesem Moment war es sehr berührend zu spüren, wie stark die Vibration dieser Note war, sogar über die buchstäbliche Lautstärke des Objekts hinausgehend. Am selben Abend ging ich in einen Subway-Sandwichladen und war immer noch auf Psychedelika. Im Radio lief ein Lied und ich hatte das Gefühl, dass die Farbe des Raumes und die Stimmung der Gespräche der gleichen Art waren. Dann hörte der Song auf und der nächste begann, und die Stimmung im Raum fühlte sich anders an. Ich hatte also das deutliche Gefühl, dass die uns einhüllende Musik unsere gesamte Umgebung veränderte. Es ist kein stationäres Objekt, dem wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden oder das wir ignorieren können – es hat diese durchdringende Qualität, wie die Luft um uns herum oder wie Sonnenschein. Man muss sich nicht auf die Musik einstellen, um sie zu spüren, sie durchdringt einen bereits.“
Was die Musik fordert
Ismaily war fest entschlossen, buchstäblich eins zu werden mit der Musik. Er kaufte sich eine Gitarre und nahm sie überallhin mit. Er brachte sich selbst bei, zu allem mitzuspielen: zu Schallplatten, zu den Geräuschen draußen, zu anderen Bands, während er bei deren Auftritten in der ersten Reihe saß. „Als ich lernte, Gitarre zu spielen, gab es viele Momente, in denen ich darauf bestand, meine Gitarre mit zum Essen zu nehmen. Also hielt ich sie in der Hand und spielte mit der linken Hand, während ich mich mit Leuten unterhielt und während ich aß“, sagt er, um damit zu erklären, wie er problemlos ein Messer, eine Gabel und ein mittelgroßes Aufnahmegerät handhaben kann. Er nimmt einen großen Bissen und fährt fort. Seine Art zu Reden ist so hypnotisch rhythmisch wie sein Spielstil. „Ich glaube, mit der Art und Weise, wie Leute oft zu einer Platte spielen, versuchen sie, das zu lernen, was da gerade passiert. In meinem Fall war es so, dass ich mir einen Song anhörte und dann versuchte, herauszufinden, welche Noten dazu passen, welche Gefühle dazu passen oder welche Gesten dazu passen. Und das mache ich auch weiterhin so. Jeder hat seine Stärken. „Wenn ich einen Raum betrete und da läuft ein Musikstück, dann suche ich das Element, das es unterstützt oder nährt oder erweitert oder es abheben lässt.“
In der Musik fand Ismaily einen Dialog mit sich selbst und anderen und eine Freiheit, die ihm in der akademischen Welt fehlte. „In Amerika ist Musik seltsam im Vergleich zu, sagen wir, Indien“, sinniert er. „In Indien gibt es Traditionen, die besagen: ‚Fang jetzt an, Tabla zu spielen und spiele es erst in 30 Jahren vor Publikum.‘ In Europa habe ich das Gefühl, dass junge Musiker eher an Konservatorien studieren und sich der klassischen Tradition zuwenden. Wenn ich durch Europa toure, habe ich oft den Eindruck, dass es ein etwas enger gefasstes Verständnis davon gibt, ‚was Musik ist, was eine Musiker:in ausmacht und wer überhaupt einer sein kann.‘ Und in den USA ist es normal zu sagen: ‚Kauf dir heute eine Gitarre, dann kannst du heute Abend eine Show spielen.‘ Auch wenn man kein Talent hat. Aber wenn man irgendeinen Aspekt des Austauschs über den Klang findet, ist es völlig akzeptabel, einfach das Selbstvertrauen zu haben, vor Publikum zu spielen. Ich habe das Gefühl, dass die USA den Musiker:innen und Künstler:innen stillschweigend sagen: ‚Finde deinen eigenen Weg. Finde deine Art zu arbeiten und in der Welt zu sein – unabhängig von der Tradition.‘ Das ist einer der wenigen Momente, in denen ich stolz darauf bin, in diesem Land geboren und aufgewachsen zu sein, obwohl es so vieles gibt, was mich ankotzt. Die Idee, dass wir uns nicht an eine Tradition halten müssen, um herauszufinden, wer wir sind – das ist eine Art elementarer Teil der amerikanischen Psychologie, der ziemlich schön und befreiend ist, denke ich.“
Beten, dass die Musik kommen wird
Während er in Arizona lebte, hat Ismaily unwissentlich seine Zukunft in New York City vorgezeichnet. Der angehende Musiker war Stammgast in einem Plattenladen namens Stinkweeds, wo ihm ein Angestellter „The Prosthetic Cubans“ empfahl, ein kubanisches Musikalbum der Gitarrenkoryphäe Marc Ribot, das eine Hommage an den verstorbenen großen blinden kubanischen Bandleader Arsenio Rodriguez darstellt. Ismaily hörte sich diese Platte immer wieder an. Als er im Jahr 2000 nach Brooklyn umzog und sich von der Energie der Stadt und ihren Musiker:innen anstecken ließ, wurde Ismaily zum Stammgast bei Konzerten und begann schnell, mit einigen seiner Helden zu improvisieren, darunter der Jazz-Revolutionär Milford Graves und der Star der Geräuschszene (und Tom Waits’ Sidekick) Ribot, dessen Stil ihm bereits vom Spielen zu seiner Platte bestens vertraut war. Das Zusammenspiel war so mühelos, dass Ribot Ismaily bat, seiner Band Ceramic Dog beizutreten, in der er nun schon seit über 15 Jahren spielt.
In Ceramic Dog zu spielen, war eine der wichtigsten Erfahrungen in Ismailys musikalischem Leben und Ribot einer seiner größten Lehrer. „Manchmal sagt Marc hinter der Bühne, bevor wir spielen: ‚Musik zu spielen ist wie zu beten, dass die Musik kommen wird‘,“ erzählt er. „Es ist eine Erinnerung daran, dass es noch keine Musik ist, wenn man einfach nur die Noten spielt. Während des Spiels, während man die Noten spielt, bittet man immer noch darum, dass man von ihr durchdrungen wird. Das fand ich sehr schön und das ist mir wirklich in Erinnerung geblieben.“
„Ich habe so viel Glück mit den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, denn sie sind interessante, wunderbare Lehrer:innen und musikalisch innovative, unglaubliche Menschen“, fährt Ismaily fort. „Es gibt eine lange Liste von Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, die mir etwas mitgegeben haben, wodurch ich dann gewachsen bin.“ Ein weiteres New Yorker Urgestein, das er zu diesem Lager zählt, ist Raz Mesinai, der auch unter dem Namen Badawi arbeitet. „In den frühen New Yorker Tagen, um das Jahr 2002 herum, begann ich mit Raz zu arbeiten, der wunderbare, hauptsächlich cluborientierte Musik machte. Er sagte: ‚Also gut, ich spiele diesen Track für dich und du spielst einfach ein paar Basslines.‘ Ich spiele eine Zeitlang und er sagt: ‚Okay, cool. Jetzt habe ich definitiv das, was ich brauche.‘ Und ich sah zu, wie er alle Noten, die ich gespielt hatte, löschte, dieses eine Quietschen fand und dann eine ganze Basslinie daraus machte. Keine der Noten, die ich gespielt hatte, und keine der Basslinien, die ich gespielt hatte, waren da drin. Was ich von diesem Augenblick an begriffen habe, ist, dass die Musik manchmal nicht dort ist, wo man sie sucht. Oder man sucht nicht dort, wo man eigentlich hinschauen sollte. Man sollte in die andere Richtung schauen oder darunter oder darüber schauen. Dort ist die Musik wirklich und man hat es nicht bemerkt, weil niemand dort hinschaut.“
Vielleicht hätte diese Entwicklung nicht stattgefunden, wenn Ismaily nicht beschlossen hätte, nach New York umzuziehen. „Ich liebe New York, weil es mir mein Leben gegeben hat“, gesteht er. „Ich bin dorthin umgezogen, weil ich ein Musiker sein wollte, der spielt und mit Menschen arbeitet und reist und lustige, interessante Dinge tut, deshalb schätze ich diese Stadt immer noch so sehr. Jeden Tag konnte ich jemanden spielen sehen, auf ihn zugehen, ihn ansprechen und sagen: ‚Ich würde gerne mit dir zusammenspielen‘, und das Ganze hat sich dann immer weiter entwickelt. Über einen Zeitraum von 15 Jahren, sagen wir zwischen 2003 und 2018, bin ich buchstäblich jeden Tag morgens aufgewacht, zur Probe gegangen, habe für Tanzstunden gespielt, eine Aufnahmesession gemacht und mindestens eine Show oder manchmal drei Shows gespielt, sieben Tage die Woche. Das Leben war so fließend und so schön und so ausgeschmückt. Bis vor kurzem fühlte ich mich damit sehr glücklich und leicht. Jetzt ist das ein bisschen anders und ich bin sicher, dass COVID ein wenig damit zu tun hatte. Früher fühlte es sich so zielführend an, wenn ich einen Anruf erhielt, um eine Show aufzunehmen oder zu spielen. Und jetzt denke ich viel darüber nach, warum wir das tun, was wir tun? Was ist der Sinn darin? Sollen wir weitermachen? Wenn es sich im Moment bedeutungslos anfühlt, wie können wir es dann wieder mit Bedeutung füllen?“

Blick nach Osten
Diese existenziellen Fragen bilden meist die Grundlage, wenn Ismaily sich hinsetzt, um über die kollaborative Performance nachzudenken, die er für die Monheim Triennale 2025 vorbereitet. „Etwas, worüber ich derzeit sehr intensiv nachdenke, ist: ‚Wie entscheiden wir uns in dieser Zeit, uns politisch zu engagieren – auf eine Weise, die tatsächlich konkrete Ergebnisse oder Wirksamkeit haben kann?‘“, sagt er. „Das ist im Moment das Hauptthema, an dem ich herumtüftle – und ich habe noch keine Antworten.“ Ismaily stellt eine hochkarätige Gruppe von Musiker:innen und Dichter:innen aus dem Nahen Osten und der Diaspora zusammen. Dazu gehören zwei Sänger-Gitarristen – der kuwaitische Künstler Yousif Yaseen und Miriam Elhaji, eine venezolanisch-marokkanisch-amerikanische Künstlerin mit Wohnsitz in New York City – sowie zwei Dichter:innen – der palästinensisch-syrische Wortkünstler Ghayath Almadhoun und die iranisch-amerikanische Stimme Haleh Liza Gafori. Ismaily selbst wird E-Bass, Percussion und Moog-Synthesizer spielen. Das Stück trägt den Titel „you are the other lung in my chest“ (dt. „Du bist die andere Lunge in meiner Brust“), ein Verweis auf das Gedicht „Ein Liebender aus Palästina“ des palästinensischen Widerstands-Dichters Mahmoud Darwish, der viele Jahre im Exil in Libanon und Paris lebte.
„Bei der Zusammenstellung der Performance bin ich wahrscheinlich am stärksten von den aktuellen politischen Entwicklungen in der Welt beeinflusst – und davon, wen ich einladen möchte, mit mir zu spielen, der sich wirklich auf die Schwere der Thematik beziehen kann, insbesondere im Nahen Osten“, sagt Ismaily. „Es ist eine spannende Mischung aus Menschen, die ich kenne, und solchen, die ich noch nicht kenne – aber im Moment gibt es noch keinen festen Rahmen.“ Die Künstler:innen werden sich einige Tage vor dem Auftritt in Monheim treffen, um gemeinsam in einem Proberaum zu improvisieren. „Dabei werden wir gewisse Aspekte der Wechselwirkungen oder Chemie zwischen den Beteiligten entdecken“, erklärt er. „Ein wichtiger Punkt ist, dass sich die beiden textbasierten Künstler:innen so frei fühlen sollen, dass sie entweder sprechen oder auch bewusst Raum lassen können.“ Außerdem, so Ismaily, werde Yousif wahrscheinlich eine mikrotonale Gitarre zum Konzert mitbringen – „diese Tonleitern, die sich vom westlich-pianistischen Stil entfernen, sind wirklich befriedigend, inspirierend und fesselnd, und ich denke, wir werden davon in diesem speziellen Rahmen einiges heraufbeschwören.“
Ismaily selbst ist besonders begeistert davon, mit verschiedenen Tonsystemen zu experimentieren und die Gefühle zu erforschen, die sie auslösen können. „Der Septakkord in Dur berührt mich immer noch sehr“, schwärmt er. „Wenn man z.B. ein E spielt und dann ein Dis, dann ist dieses Gefühl dabei so stark. Ich liebe auch die lydische Tonleiter, bei der man die vierte Note nimmt und sie auf der Gitarre einen Bund höher spielt. Seltsamerweise kommt sie in einer Menge trauriger Emo-Rockmusik wie Low, Mazzy Star, The Sundays vor, aber sie ist auch Teil eines bestimmten Ragas und klassischer indischer Musik namens ROG Yemen – beide haben diese ähnliche Art von süßer, schöner Melancholie. Man hört es oft, ich werde etwas damit machen. Aber es gibt auch Momente, in denen es um monolithische, schwere Riffs geht; kommt vielleicht daher, dass ich auf Rage Against the Machine und so was stehe, wo es um eine Art starkes Objekt und dann ein Schlagzeug geht.“
„Eine weitere Sache, die ich in Monheim unbedingt machen möchte, ist der Unterricht oder die Interaktion mit den Kindern vor Ort“, erklärt Ismaily, der eine 12-jährige Tochter hat. „Das wirklich außergewöhnliche an diesem Setting ist, dass der Bürgermeister und die Kulturbehörde einen großen Anteil daran haben, das Festival nach Monheim zu holen. Sie sind offen dafür, die Künstler und das Festival noch stärker mit der Stadt selbst zu verbinden, und ich bin gespannt darauf, wie meine Anwesenheit dort das Gefüge der Stadt durch die Interaktion mit der örtlichen Musikschule noch stärker beeinflussen kann.“
Musik der Vögel und Herzschläge
„Eine weitere Sache, die ich in Monheim unbedingt machen möchte, ist der Unterricht oder die Interaktion mit den Kindern vor Ort“, erklärt Ismaily, der eine 8-jährige Tochter hat. „Das wirklich außergewöhnliche an diesem Setting ist, dass der Bürgermeister und die Kulturbehörde einen großen Anteil daran haben, das Festival nach Monheim zu holen. Sie sind offen dafür, die Künstler:innen und das Festival noch stärker mit der Stadt selbst zu verbinden, und ich bin gespannt darauf, wie meine Anwesenheit dort das Gefüge der Stadt durch die Interaktion mit der örtlichen Musikschule noch stärker beeinflussen kann.“
Während improvisierte Sets auf das Publikum komplex und rätselhaft wirken können, sind sie oft wie ein Spiel aus Kindertagen: Man betritt einen Raum, der möglicherweise voller Menschen ist, die man noch nie zuvor gesehen hat, und man baut in diesem Moment etwas auf. Ismaily hat ein paar Techniken, die er gerne aus früheren Projekten heranzieht und die er mit Kindern im Schulalter oder mit jedem anderen anwenden kann, um die Stimmung beim Musizieren aufzulockern. „Ich habe ein wenig mit Butoh-Tänzern gearbeitet und war begeistert, wie schön diese Form ist“, erinnert er sich. „Bei vielen von ihnen ist der Beginn des Stücks eher bildbasiert. Zum Beispiel: ‚Lass uns gemeinsam ein Stück machen, bei dem es sich zu Beginn anfühlt, als ob unsere Arme von den Schultern bis zu den Fingern Hunderte von Vögeln sind, die sich jetzt alle bewegen wollen.‘ Und wenn man mit diesem Bild beginnt und sagt: ‚Holzblasinstrumente, stellt euch vor, ihr wäret 100 Vögel, die alle in entgegengesetzte Richtungen fliegen wollen‘, dann kann daraus wirklich intensive Musik entstehen. Und das Interessante daran ist, dass es dem Kind die Nervosität nimmt in Bezug auf die Fragen ‘Spiele ich die richtige Note? Spiele ich in der richtigen Tonlage?‘ Man kann das alles überspringen und gleich zu diesem tiefergehenden Ort vordringen.“
„Eine andere Idee stammt aus einem kurzen Gespräch, das ich mit einem Mann namens Butch Morris hatte – er war Teil der wichtigen Loft-Jazz-Szene in New York City in den 1970er Jahren (u.a. mit Ornette Coleman), in den 1980er Jahren mit (u.a. David Murray) und er entwickelte schließlich das Konzept des dirigierten Improvisierens. Seine Idee war, dass er der Dirigent ist, der es einer Gruppe von Musikern, die normalerweise sehr unterschiedlich sind, ermöglicht, einen einheitlichen Schwerpunkt zu setzen. Er sagte: ‚Wenn ich mit meiner Hand eine „Komm-her“-Geste mache, dann fängt man an zu improvisieren.‘ Wenn ich an mein Ohrläppchen greife und auf die spielende Person und dann auf eine andere Person zeige, sage ich zu dieser neuen Person: ‚Höre auf das, was die andere Person tut, und versuche, es zu imitieren.‘ Mit einer Reihe von Gesten bringt er schnell eine Gruppe von 20 oder 30 Leuten, die nicht zusammen spielen, dazu, diese schönen, improvisierten Motive zu machen. Etwas sehr Schönes passiert, wenn sich diese Mauer zwischen experimenteller Improvisation und esoterischen Dingen langsam auflöst, und mehr strukturierte Elemente wie Songwriting oder dem Bassspiel auf einem Feist-Song oder so entsteht.“
Ismaily erinnert sich an einen Moment beim Monheim Festival letzten Jahres, als er spontan als Trio mit Selendis SA Johnson an der Posaune und einer Perkussionistin zu spielen begann. „Wir improvisierten vor einer Gruppe von Kindern, wahrscheinlich zwischen acht und vierzehn Jahre alt, und irgendwann sagte ich zu ihnen: ‚Wer hat eine Frage?‘ – und sofort schnellten überall die Hände in die Höhe. Eines der Kinder stellte eine Frage zum Thema Humor, weil wir manchmal ziemlich abgefahrenen, anarchischen Lärm machten und einige der Kinder dabei lachen mussten. Also fragte dieses Kind: War das Lachen erwünscht? War es störend? Hatten wir beabsichtigt, auf eine humorvolle Weise ungewöhnlich zu sein? Ich fand, das war eine wundervolle Frage.“
Ich frage mich laut, wie Menschen, die noch nie mit improvisierter, avantgardistischer oder Free-Jazz-Musik in Berührung gekommen sind, auf manche von Ismailys Performances reagieren könnten – einschließlich des politisch aufgeladenen Stücks, das er bald präsentieren wird. Daraufhin zitiert er die Worte des visionären Schlagzeugers und Improvisationskünstlers Milford Graves, der dafür bekannt ist, die Verbindung zwischen Herzschlag, natürlichem Rhythmus und Heilung aufzuzeigen: „Als ich Zeit mit Milford verbrachte, glaubte er fest daran, dass – wenn man mit klarem Fokus, Präsenz und Intention spielt – selbst die ungewöhnlichsten Klänge direkt von Herz zu Herz mit einem Publikum kommunizieren, das keine Referenz dafür hat,“ erinnert sich Ismaily. „Tatsächlich schlug er oft vor, dass wir als Musiker:innen außerhalb der Städte auftreten sollten – dort, wo die Leute keinen Bezug zu unserer Arbeit haben –, um herauszufinden, wie wahr das ist, was wir tun.“

Aus diesem Augenblick
Ismailys Arbeit selbst merzt Linien aus, verwischt die Grenzen zwischen Pop, Experimentalmusik und allem, was dazwischen liegt. Es ist Musik als Magie, und er selbst ist das Instrument – oder vielleicht ein Blitzableiter – der den kollektiven Geist des Raumes zu einem bestimmten Zeitpunkt anzapft. Ismailys Spiel ist geradezu ein Beispiel für die Verschmelzung von Mystik und Mathematik, denn er ist in der Lage, mühelos ein komplexes Lexikon von Bewegungen zu berechnen, ohne zu viel nachzudenken. „Beim Improvisieren hat man, ohne wirklich darauf zu achten, das Gefühl, dass das mathematische Gehirn versucht, schnell herauszufinden: ‚Was sind die Akkorde um mich herum? Welche Rhythmen sind um mich herum?‘ Was würde sich also stimmig und was dissonant anfühlen? All diese Informationen werden zur gleichen Zeit verarbeitet, vielleicht in einigen unterbewussten Ebenen. Wenn ich also beschließe, die Dinge z.B. dunkel oder chaotisch zu gestalten, kann ich diese Informationen nutzen und eine fundierte Entscheidung darüber treffen, ob eine Geste, die ich spiele, richtig herum oder verkehrt herum sein soll.“
Shahzad Ismaily verfügt eindeutig über einen großen Wissensschatz, aus dem er schöpfen kann – und doch ist er auf eine fast monastische Art und Weise immer noch von der Suche nach dem Unbekannten getrieben, immer noch daran interessiert, das Leben ebenso zu studieren wie es zu lehren. „Ich habe immer noch das Gefühl, dass ich in meinem Leben noch nicht viel gemacht habe“, sagt er achselzuckend. „Ich komme in einen Raum und weiß nicht, was ich tue, und ich habe noch nichts, worauf ich aufbauen kann. Also schaue ich einfach, was ich in diesem Augenblick tun kann.“